Meine derzeitige Reisebibel ist “Der menschliche Makel” von Philip Roth. Es ist selten, dass ich für ein vierhundert Seiten Buch Wochen brauche. Doch dieses Kunstwerk lässt mich permanent zurück blättern und Passagen wieder und wieder lesen. Bei Roth habe ich jedesmal das Empfinden, gerade noch erhaben als ein monoton dahin tümpelnder Karpfen im Kreise meiner Artgenossen im Teich der intellektuellen Weite schlängelnd,mit einem Mal beim Lesen der ersten Seiten an der Angel eines modernen Literaturerlösers zu hängen, der mir zeigt, wo das wirkliche Meer liegen kann.
“Schliess alle Türen, die in die Zukunft und die in die Vergangenheit. Alle gesellschaftlichen Gedanken – sperr sie aus. Alles, was diese wunderbare Gesellschaft von uns will. Die Art, wie wir uns in dieser Gesellschaft eingerichtet haben. Ich sollte, ich sollte, ich sollte. Scheiss drauf ! Das, was du sein sollst, und das, was du tun sollst, tötet alles ab,” sagt die vierzigjährige Faunia, die Analphabetin und Putzfrau zum siebzigjährigen Coleman, dem Universitätsprofessor an einer zentralen Stelle des Romans.
Kann es eine passendere Reisebegleitung geben, wenn ich so wie hier auf eine Gesellschaft stoße, die grenzenlose Höflichkeit, strenge Hierarchien, Unterwürfigkeit und Arbeit bis zur Selbstaufgabe zu ihren Maximen seit jeher gemacht hat ?
Ich hab noch nirgends so viele schlafende Menschen in der Metro, in Restaurants oder auf öffentlichen Plätzen erlebt.
Korea ist eine übermüdete Gesellschaft.
Der Tigerstaatgedanke fordert ständig und permanent. Er zwingt die Menschen zu hetzen,rund um die Uhr zu arbeiten, den materiellen Erfolg entsprechend üppig zu präsentieren.
Daher leben mittlerweile achtzig Prozent der Bevölkerung von knapp 50 Millionen hier schon in Städten. Es gibt davon zehn, die über die Millionengrenze hinausgehen und in denen insgesamt nicht ganz dreißig Millionen Menschen wohnen. Und das bei einer Größe, die Österreich plus heutigem Südtirol entspricht .
Nun ist erst zwanzig Jahre her, dass die Militärregierung das Land in die Demokratie entlassen hat.
Gerade die Geschichte dieses Landes weist ja eine fortdauernde Unterdrückung auf und ist ein ständiger Genozid durch ausländische Mächte gewesen.
Man hat gelernt, den Kopf im wahrsten Sinne des Wortes zu beugen.
Früher vor den menschlichen Eroberern, heute vor Marken, Mode, Mobiles und Motoren.
Doch es gibt natürlich auch Armut hier, es gibt die Obdachlosen, nur sie verschwinden sehr dezent im wuselnden Straßenbild und vor den Leuchttafeln, den Prunkbauten, den glitzernden Geschäften.
Versteht mich nicht falsch, ich bin von den Menschen hier sehr angetan, die Hilfsbereitschaft und Unterstützung bisher ist einerseits wohltuend und ich will nichts schlecht schreiben.
Heute hat ein amerikanischer Journalist eine der freiwilligen Helferinnen des Festivals, die ihm Unterlagen brachte, mit einem simplen “What the fuck is this for?”, so aus der Fassung gebracht, dass die Arme entsetzt das Weite gesucht hat.
Und doch muss es unter der zarten Haut brodeln.
Warum werden sonst koreanische Filme, in denen Kinder Männer mit Fleischerhaken malträtieren oder Augen sehr Detail verliebt ausgerissen werden zu inländischen Blockbustern oder dominieren in Spielhallen und PC-Rooms, die überall anzufinden sind, blindwütige Egoshooter-Spiele ? Es gibt sogar einen eigenen Fernsehkanal, der 24 Stunden am Tag Wargames-Spiele am PC überträgt.
Aber hab ich wirklich in den drei Wochen genug Informationen erhalten, um hier eine profunde Analyse schreiben zu können ?
Roth schreibt an einer anderen Stelle, was ihn am meisten verwundert, ist das gefährlichste Klischee in jeder Gesellschaft, der Glaube, was jeder zu wissen vermeint.
1 Kommentar:
ein guter halbzeitbrief, auch der verfasser wirkt schon ein bißchen müde ( nicht im sinne des wortes gemeint)aber diese flut von eindrücken muß einen ja förmlich aus diesen noppenpatschen kippen.aber du hast ja dein nonshoppingcenter zum entspannen.übrigens "armstrong" hat großes geleistet er radelt wieder u. adi ist ganz klein geworden.gruß aus der heimat von eduart
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